Narkose
Es ist 5 Uhr und ich liege wach. Ich habe heute einen Termin zu einer Untersuchung, bei der eine kurze Narkose fällig wird (es sei denn, man möchte das so über sich ergehen lassen. Möchte ich aber nicht). Eigentlich ist das nichts schlimmes und ich habe den „Eingriff“ gefühlt schon hundertmal gemacht. Aber plötzlich komme ich ins Nachdenken: Was, wenn das heute schief läuft und ich doch nicht mehr so einfach aufwache? Bisher war ich immer nur für mich verantwortlich, aber jetzt gibt es da zwei Personen, die eine Mama brauchen.
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Als der Vater den Kindern das Signal für „Jetzt ist Abfahrtszeit“ gibt, muss ich schlucken. Nein, ich möchte nicht darüber nachdenken, dass das jetzt das letzte Mal in meinem Leben wäre, dass ich sie küsse. Ich tue es aber doch und als ich am Fenster stehe und der große Junge mir fröhlich zuwinkt, kullert mir langsam eine Träne übers Gesicht. Habe ich meiner Familie heute morgen schon gesagt, dass ich sie liebe? Habe ich die Kindern geschimpft, weil mir irgendwas nicht schnell genug ging? Würden sie sich gerne an „unseren letzten Morgen“ zurück erinnern?
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12:37 Uhr: Die Krankenschwester legt mir den Zugang und rät mir gleich bei der Betäubung an etwas schönes zu denken, denn das würde einen durch die Narkose begleiten. Das mache ich dann auch – und sie behält Recht.
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13:02 Uhr: Ich schlage die Augen auf. Mir ist kalt, ich muss auf die Toilette – und ich sabbere mir selbst auf die Brust. Na toll! Ich decke mich mit meinem Schal zu und krame sehr langsam mein Handy aus der Tasche, um dem Mann, der vor der Türe sitzt, zu schreiben: „Ich lebe mich noch!“ Außerdem finde ich: „Witzig sind. Gikster rauscht every.“
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13:57 Uhr: Der Mann fährt mich nach Hause. Wir kommen an dem Haus vorbei, in dem vor einigen Tagen jemand gestorben ist und vor dem noch immer traurige Blumen stehen. Ich bin dankbar, dass die Untersuchung gut gegangen ist und beschließe, nicht immer alles als so selbstverständlich hin zu nehmen. Und ganz sicher werde ich meine Lieben gleich ganz feste drücken und ihnen sagen, wie lieb ich sie habe. Passt auf euch auf!
Wochenrückblick #130 | Bernd Gonzales
[…] Wir wurden zum Essen eingeladen, ich war beim Arzt und hatten mehrere […]